NEWSLETTER MAI 2022

Liebe Freundinnen und Freunde der Kirchenmusik!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit den Messen des Monats Mai bewegen wir uns in der musikalischen Welt eines eng umgrenzten Zeitraums der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts: Alle im Mai aufgeführten Messen sind zwischen 1770 und 1777 entstanden. Das ist keine „schwere“ Musik. Amadé Mozart bürgt für Leichtigkeit und Heiterkeit bei kompositorischer Genialität, Franz Joseph Haydn (dessen erster Vorname im deutschen Sprachraum praktisch nie genannt wird) bringt einerseits pastorale Einfachheit und Frömmigkeit, andererseits aber auch musikalischen und theologischen Tiefgang, wie z. B., unerwartet, im Crucifixus seiner sonst so „leichtfüßigen“ Nikolaimesse.
In Europa herrscht Krieg. Wir machen schöne Musik. Immer wieder erhebt sich die vorwurfsvolle Frage: Kann man denn einfach „geistliche Unterhaltungsmusik“ machen, wo doch die Gräuel des Krieges täglich und stündlich in unsere Wohnzimmer geliefert werden? Darf denn die Kunst die Augen verschließen vor dem Schrecklichen in der Welt? Kann man nach Auschwitz überhaupt noch Gedichte schreiben?
Eine abschließende Antwort auf solche Fragen gibt es nicht, aber eine mögliche Sichtweise wäre diese: Kunst, die nicht die gerade aktuelle Krise oder das weithin herrschende Elend reflektiert, darf nicht nur sein, ja, sie muss geradezu ihren Platz in unserer Lebenswirklichkeit behaupten. Heiterkeit und die Freude am Schönen gehören zu einer solchen Lebenswirklichkeit. Sie zurückzudrängen, ihr die Berechtigung abzusprechen, sie in die Pflicht zu nehmen zur Referenzierung dessen, das nicht sein soll, das nicht sein darf, hieße dem, was gemeinhin als „das Böse“ verstanden wird, der Destruktion, der Leugnung Gottes noch mehr Raum zu geben. Raum, der ihm schon von vornherein gar nicht zusteht, und den es sich in skandalöser Weise räuberisch aneignet. Wir bezögen uns dann in all unserer Kunst auf das Nichtseinsollende, das wir zwar ernst nehmen müssen, dem wir aber in seiner Zumutung entgegentreten müssen, unsere gesamte Lebenswirklichkeit zu diktieren.
In diesem Sinne freuen wir uns auf die wunderschöne Musik und auf die gemeinsamen Messfeiern mit Ihnen!

Martin Filzmaier, Obmann

Anmerkung: Das Beitragsbild zeigt das Predellenbild in der Josefskapelle (1.Kapelle rechts vorne) „Maria lactans“, Kopie des 16.Jhdts nach dem Gnadenbild der Donna Maria de Uzategui in der Kirche Santa Rosa bei Lima/Peru.

Sonntag, 8. Mai 2022: W. A. MOZART – „Loretomesse“ KV 275 (1777)

Die Missa brevis in B KV 275 hat Mozart im Jahr 1777 noch im Dienst des Salzburger Erzbischofs komponiert. Die Erstaufführung wird für den 4. Advent, 21. Dezember 1777, in der Stiftskirche St. Peter in Salzburg vermutet. Kompositorisch ist sie von hohem Niveau und enthält vollkommen neue, expressive Ausdrucksformen, so im »Et incarnatus est« des Credo oder zu Beginn des Gloria und des Agnus Dei.
Das Kyrie ist leicht beschwingt, kurz und knapp, auf einen eigenen Christe eleison-Teil wird verzichtet, er wird mit dem Kyrie eleison verwoben. Das Gloria ist – wie üblich – ein rascher Satz, in dem die Domine-Anrufungen den Solisten vorbehalten bleiben. Textteile werden nur selten wiederholt. Angesichts der Vorgaben des Fürst-Erzbischofs Colloredo gilt es auch beim Credo, große Textmengen in kurzer Zeit musikalisch zu bewältigen. Auch hier herrscht deswegen ein schnelles, durchlaufendes Grundtempo vor. Traditionell wird jedoch die Textpassage »Et incarnatus est« deutlich verlangsamt und den Solisten überlassen. Der Chor nimmt das langsame Tempo dann im »Crucifixus« auf, bevor er im »Et resurrexit« zum heiter-beschwingten Allegro zurückkehrt. Das Sanctus beginnt mit einem wundervoll ruhig-ausschwingenden Fugato, das allerdings kaum ausgeführt wird, den Abschluss bildet das rasche »Hosanna«. Wie so häufig, bildet das Benedictus einen ruhigen Satz nur für Solisten, in diesem Fall ausschließlich für die Sopranistin, der mit der Wiederholung des »Hosanna« abschließt. Das Agnus Dei ist nicht nur mit Abstand der längste Satz der Messe, sondern beginnt mit einer hochexpressiven, dramatischen Geste, die dann noch mehrmals wiederkehrt: geradezu einem Aufschrei des Chores, der nach dem Piano-Beginn unerwartet mitten im Takt hereinplatzt und mit dem Oktavsprung des Soprans und der gequälten Chromatik des Alts einen hochpathetischen Ton anschlägt, der neu in dieser Messe ist. Das mit 150 Takten extrem umfangreiche »Dona nobis pacem« überschreitet mit seiner Länge den Gattungsrahmen einer Missa brevis und ist, wie bei Mozart üblich, sehr heiter und den Solisten vorbehalten. An die Stelle des leichten Kehraus tritt ein gewichtiges Rondo-Finale, das ganz verhalten im Piano endet.
Text: Chor Stiftskirche St. Johann Baptist und Petrus, Bonn.
Gastzelebrant: P. Dr. Gustav Schörghofer SJ
Solisten sind: Cornelia Horak, Martina Steffl, Alexander Kaimbacher und Yasushi Hirano.

Sonntag, 15. Mai 2022: W. A. MOZART – Missa longa KV 262 (1775)
Mit ihren 824 Takten, von denen 406 allein dem Credo gelten, zählt die „Missa longa“, KV 262, zu den umfangreichsten Sakralwerken von Wolfgang Amadeus Mozart. Und zu seinen prächtigsten, gesellen sich doch zu dem üblichen „Kirchentrio“ (zwei Violinen und Bass, aber keine Bratsche) noch je zwei Oboen, Hörner und Trompeten, drei Posaunen und Pauken. Das reichhaltige Instrumentarium und die ausgedehnten Orchestervorspiele bieten dem Dirigenten Gelegenheit, prächtiges Pathos und repräsentativen Glanz auszubreiten. Mozart, der für die schnellen Sätze flotte, energiegeladene Tempi verlangt, unterstreicht aber auch die schmerzliche Ausdruckskraft der chromatischen Harmonik und der zugespitzten dynamischen Kontraste und führt mit dem Chor seine kontrapunktische Kunstfertigkeit in den großen Fugen mit exemplarischer Deutlichkeit vor. Leopold Mozart hatte auf dem Titelblatt der 5 Messen in C diese und die Messe KV 257 als „Missa Longa“ bezeichnet. Hat sich für KV 257 der Name „Große Credo-Messe“ eingebürgert, so ist der Messe KV 262 die ursprüngliche Benennung „Missa Longa“ erhalten geblieben.
Als Solisten wirken mit: Monika Riedler, Eva-Maria Riedl, N.N. und Yasushi Hirano.

 Donnerstag, 26. Mai 2022 – Christi Himmelfahrt: W. A. MOZART – Missa brevis in D-Dur KV 194 (1774)
Mozart schrieb diese Messe im Alter von 18 Jahren für die kurzen Hochämter des Fürsterzbischofs Colloredo. Hieronymus Franz de Paula Josef Graf Colloredo (1732-1812) war von 1772 bis 1803 der letzte regierende Fürsterzbischof des Fürsterzbistums Salzburg. Er war übrigens sehr am Ausbau der Briefpost von und nach Salzburg interessiert und hatte mit Unterstützung des Wiener Hofes einen zweimal wöchentlichen Kurs von und nach Wien ab 1787 etabliert, wovon auch Mozart profitieren sollte. Die Missa brevis in D gehört neben den Messen in F und B zu den Werken im Kammermusikstil mit kleiner Instrumentalbegleitung. Im Sommer 1774 schrieb Mozart in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zwei Messen, die Missa brevis in F, KV 192 und die Missa brevis in D, KV 194. Beiden Kompositionen eigen ist eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Neigung zur kontrapunktischen Schreibweise. Mozart sucht in beiden Brevis-Messen die althergebrachten polyphonen Techniken mit einer modernen Tonsprache zu verbinden. Die Missa brevis in D, KV194, entstand nur wenige Wochen nach ihrer F-Dur-Schwester. Mozarts autographe Partitur ist auf den 8. August 1774 datiert. Das Werk war für den Salzburger Dom bestimmt. Dem äußeren Rahmen einer Missa brevis entspricht Mozart durch eine sparsame Besetzung mit vier Singstimmen (SATB), chorisch und solistisch, zwei Violinen, Bass und Orgel sowie den drei in Salzburg üblichen colla-parte-Posaunen zur Verstärkung der Chorunterstimmen.
Stilistisch nimmt der Kontrapunkt insgesamt einen geringen Raum ein. Schon im Kyrie scheint sein Anteil zurückgedrängt. Nur noch der Anfang des Kyrie II präsentiert sich im Gewand einer regelrechten Fugen-Exposition, das Christe eleison hingegen wirkt trotz fugaler Anlage eher wie ein episodenhaftes kontrapunktisches Motivspiel, die ihrerseits bereits als Resultat einer intensiven Auseinandersetzung mit polyphonen Techniken anzusehen ist. Das Orchester begleitet weitgehend an den Singstimmen orientiert, tritt aber gerade in den themenverarbeitenden Partien mit kurzen eigenständigen Motiven hervor, das Fugato des Kyrie II begleitet es sogar mit einer obligaten Bassfiguration. Gloria und Credo sind vorwiegend homophon konzipiert. Im Gloria kommt es lediglich bei Domine Deus, Agnus Dei und im abschließenden Amen zu imitatorischen Stimmenverflechtungen, ein Schluss­fugato fehlt. Im Credo bleibt der Kontrapunkt auf die Stellen Et resurrexit, in remissionem peccatorum und auf das Amen beschränkt. Ansonsten lockert sich der akkordische Satz nur selten. Auf unterschiedliche Weise löst Mozart das Problem der musikalischen Zusammenfassung der einzelnen Glaubenssätze. Anstelle von Credo-Rufen (die Priesterintonation “Credo in unum Deum“ bleibt bei dieser Messe unvertont) greift er das Eröffnungsmotiv der Violinen an verschiedenen Stellen des Satzes wieder auf, wodurch er eine vereinheitlichende Struktur erhält. Darüber hinaus verklammert er das Ende des ersten Credo-Teils mit dem Schluss des dritten, indem er die Thematik des descendit de coelis zum letzten Amen wiederkehren lässt. Desgleichen schlägt er durch die Wiederaufnahme des Et resurrexit-Themas im Amen-Fugato einen großen Bogen innerhalb des dritten Credo-Abschnitts. Überhaupt erweist sich das Et vitam mit dem Rückgriff auf die wichtigsten formkonstitutiven Elemente (Credo-Beginn, et resurrexit-Fugato und descendit-Passage) gleichsam als Resümee des ganzen Satzes. Ähnliche Bestrebungen zu formaler Abrundung zeigen auch Kyrie und Gloria mit ihrer reprisenartigen Wiederholung des jeweiligen Anfangsgedankens. Im Sanctus beansprucht die Polyphonie in beiden Sätzen einen in etwa gleichen Anteil, ja im Benedictus scheinen imitierende Stimmeneinsätze in letzterer sogar zu überwiegen. Zu Beginn des Sanctus kleidet Mozart den fugierten Chorsatz in ein eigenständiges Umspielen des Orchesters, welche sich durch ihre unaufdringliche Art ausnimmt und als organische Ergänzung des Vokalparts erweist. Die Thematik der kleinen Hosanna-Fuge ist von beschwingter Leichtigkeit. Das Agnus Dei der D-Dur-Messe steht in der parallelen Molltonart und zeichnet sich durch eine expressive, spannungsreiche Diktion aus. Das Dona nobis bildet einen gefällig-heiteren Beschluss der gesamten Messe, als Sonatensatz mit zwei Themen, veritabler Durchführung und Reprise auch formal auf der Höhe seiner Zeit.
Insgesamt ist die kompositorische Struktur in KV194 weniger verdichtet, die gefälligere Tonsprache ergreift mehr Raum. Nicht zuletzt darin scheint auch die große Beliebtheit dieses Werkes begründet und die Tatsache, dass gerade es 1793 als erste aller Mozartischen Messen im Druck erschien.
Text: Jochen Reutter, Mannheim, Oktober 1990.
Es musizieren mit uns die Solisten: Eva-Maria Schmid, Martina Steffl, Gustavo Quaresma und Felix Pacher.

Sonntag, 29. Mai 2022: Joseph HAYDN – „Große Orgelsolomesse“ (1770)
Die Missa in honorem Beatissimae Virginis Mariae in Es-Dur (Hob. XXII:4), genannt „Große Orgelsolomesse“, entstand wahrscheinlich 1770, denn Wasserzeichen auf dem Autograph entsprechen denen seiner Oper „Le pescatrici“ von 1769, und außerdem sieht die Besetzung zwei Englischhörner vor: diese wurden von den Eszterházys erst 1770 erworben. Bemerkenswert ist der groß angelegte, virtuose Orgelpart, den Haydn selbst bei der Aufführung übernahm. Auch die Verwendung des Englisch­horns war eine Besonderheit, denn diese Instrumente konnten auch das tiefe Es spielen. So steht die Messe in Es-Dur.
Haydns im ersten Jahr als Kapellmeister der Fürsten Eszterházy entstandene „Große Orgelsolomesse“ in Es-Dur zählt zu jenen Werken des Komponisten, die schon früh eine ausgesprochen weite Verbreitung fanden. Trotz des „dankbaren“ Orgelparts, der über weite Strecken solistisch behandelt wird, erlebt die für ein Marienfest komponierte „Missa in honorem Beatissimae Virginis Mariae“ heute nur selten eine Aufführung. Das Werk hat nicht zu Unrecht einen sehr guten Ruf unter Kirchenmusikern wie auch bei Freunden der Wiener Klassik. Eine sehr schöne, überzeugende und ins Ohr gehende Musik, mit der Haydn, ähnlich wie bei seiner „Schöpfung“, ein geniales Werk gelungen ist, das Jahrhunderte überdauern sollte.
Als Solisten hören Sie: Monika Riedler, Martina Steffl, Angelo Pollak und Yasushi Hirano.